10.02.23
Dienst von Pfarrer Markus Deckert

Im Sommer des letzten Jahres war Pfarrer Markus Deckert zehn Jahre in der Kirchgemeinde in Loschwitz im Dienst. Entsprechend dem Dienstrecht unserer Kirche wird nach dieser Zeit  durch das Landeskirchenamt regelmäßig überprüft, ob die Fortsetzung des Dienstes in der Kirchgemeinde sinnvoll ist oder eine Neuorientierung angestrebt werden sollte. Dazu werden mit dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand durch den Superintendenten Gespräche geführt und ein Votum erbeten.

Wie Sie den Kirchennachrichten entnehmen konnten, hat der Kirchenvorstand im Sommer 2022 mehrheitlich für einen Stellenwechsel von Pfarrer Deckert gestimmt und das entsprechende Verfahren eingeleitet. Diese Entscheidung hat zu einer erheblichen Kontroverse zwischen Pfarrer Deckert und dem Kirchenvorstand und sehr unterschiedlichen Reaktionen innerhalb der Kirchgemeinde geführt, die auch außerhalb der Kirchgemeinde wahrnehmbar geworden sind.

Nach der Ordnung unserer Kirche wird eine Gemeinde durch den Kirchenvorstand und den Pfarrer gemeinsam geleitet. Auch wenn es dabei unterschiedliche Sichtweisen auf die Gemeinde und Personen geben kann, bedarf es gegenseitiger Wertschätzung und einer gemeinsamen Kommunikation. Diese sehe ich – insbesondere durch die Veröffentlichung unterschiedlicher Statements in den Kirchennachrichten – nicht mehr als gegeben an.

In Verantwortung gegenüber der Kirchgemeinde, dem Kirchenvorstand und Pfarrer Deckert habe ich daher das Landeskirchenamt gebeten, Pfarrer Deckert vorübergehend eine andere Aufgabe zu übertragen. Das Landeskirchenamt hat dem stattgegeben und Pfarrer Deckert für die Zeit vom 1. Februar bis zunächst zum 31. Juli 2023 in das Kirchspiel Dresden-Neustadt abgeordnet. Formal bleibt er dabei Inhaber der Pfarrstelle im Schwesterkirchverhältnis, wird aber in dieser Zeit keine Aufgaben in der Kirchgemeinde Loschwitz wahrnehmen.

Mir ist bewusst, dass diese Entscheidung erhebliche Konsequenzen für die Kirchgemeinde hat, da keine vollumfängliche Vertretung für die Arbeit des Pfarrers zur Verfügung steht. Dennoch werden der Kirchenvorstand, die Pfarrerin und Pfarrer der Schwestergemeinden und ich die Durchführung von Gottesdiensten unterstützen und die Kasualien (Taufen, Konfirmation, Trauungen und Beerdigungen) sicherstellen.

Albrecht Nollau (Superintendent)


Liebe Gemeinde,

´Schmerzensmann` – heißt diese Skulptur, geschaffen von Peter Makolies.

Zeigt sie Jesus? Ist es Johannes, der Täufer? Ist es – ja, jemand unter uns? Zu Schmer-zensmännern oder Schmerzensfrauen könnten wir alle werden – unerwartet hier am Elbhang so wie in der seit mittlerweile einem Jahr leidgeprüften Ukraine.

Ein Mensch – sehr allein. Getroffen von dem, was weh tut. Ob er wohl gut begleitet wird? In der Passionszeit steht uns Christinnen und Christen der Schmerzensmann Jesus vor Augen. Wer selbst schmerzerfüllt ist, wird da nicht schulterzuckend weiterblättern, weitergehen. Wird angerührt hinsehen, hinhören. Wohl auch, weil nach frühchristlicher Auffassung gilt: Fürwahr, ER trug UNSERE Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen .. Ist das wirklich so? Kann ich das wahr sein lassen in meinem eigenen Schmerz?

Wem sehen wir Schmerz an? Wer hat sich gar so heftig stossen lassen, wie es diese angeschlagene Nase zeigt? Wer hat DICH so geschlagen .. ? (EG 84, Vers 2)

In Liepe auf der Insel Usedom, näher am Achterwasser als am Ostseestrand, wurde dieser Kopf 2006 an der Dorfkirche aufgestellt. Einen knappen Meter mißt er in der Höhe. Peter Makolies, langjähriger Oberloschwitzer und durch seine Werkstatt dort eben auch langjähriger Lieper, hat ihn gehauen. Einen ´Schmerzensmann`.

Der jetzt 86-jährige, dem wir die Taufe, den Ambo und die Altarmensa in unserer Loschwitzer Kirche verdanken, hat ihn aus einem Feldstein, gefunden auf der Insel, im Gletschereis der Eiszeit aus Skandinavien dahin verschoben, geschaffen. Für Kirch-gänger wie Inseltouristen steht er dort. Und zieht nun auch Blicke im Loschwitzer Frühling an.

Die geschlossenen Augen .. suchen sie Abstand? Sinnen sie – auf Rache? Ist da einer in sich gekehrt, wartet ab, daß „der Sturm vorüberziehe“. Oder ist er hochkonzentriert, um sich auf das zu besinnen, worauf auch im Sturm, auch im Schmerz, auch im Leid Verlass ist? Betet er, dieser sinnend In sich Gekehrte?

Bildgewordene Schmerzensgestalten – sie stehen in langer Tradition. Sie erzählen Geschichten von Frömmigkeit – ach, zuerst einmal vom Blick auf menschliche Verletz-lichkeit. Ernst Barlach hatte sein Kieler Ehrenmal „Schmerzensmutter“ genannt. 1922 war es, den Krieg und seine Schrecken verarbeitend, in der Kieler Nikolaikirche eingeweiht worden. Gleich im nächsten Weltkrieg verbrannte es. Welche Schmerzens-bilder stehen uns einhundert Jahre später – und wieder in Kriegszeit!! – vor Augen?

Vielleicht merken Sie, liebe Leserinnen und Leser, daß ich Sie mit meinen Fragen in einen Dialog einlade: Was geht Ihnen nah in der diesjährigen Passionszeit? Und was darf nicht mehr verdrängt werden, wenn uns diese Skulptur mit dem großen Menschheits-thema erlittenen Leides konfrontiert .. ?

In einem sehr anderen Zusammenhang las ich jüngst die Sätze: „Es ist eine Illusion unserer Zeit, zu glauben, wir könnten alles steuern, kontrollieren und optimieren. Es gibt einen gehörigen Teil des Lebens in uns und um uns, der sich nicht steuern läßt. Wir sind nicht Herr im eigenen Haus, sind in die Welt Geworfene.“ So sind wir bestenfalls Kinder Gottes. Sind abhängig, .. das macht uns als Menschen aus. Im Verhältnis zur Natur kommen wir langsam, ganz langsam darauf, daß nicht alles Machbare auch gut und nachhaltig ist. Daß es Grenzen gibt, an die wir nicht rühren sollten. Wer aber erinnert uns sonst an unsere Grenzen? Der Gekreuzigte? Der Schmerzensmann, der unseren eigenen Schmerz auf sich nimmt?

Der Dresdner Kunsthistoriker Harald Marx schrieb im Elbhangkurier 10 / 2015:

Der Schädel in der Kunst ist ein Thema, das nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch eine Gegenwart, und ganz bestimmt auch eine Zukunft, ein Thema, das uns angeht, mehr, als wir gemeinhin denken; und wenn wir nach dem Sinngehalt und nach dem Besonderen in diesen Werken von Peter Makolies fragen, dann ist es, nach meinem Empfinden, das feste Vertrauen darauf, dass hinter den vergänglichen Einzelformen der sichtbaren Welt, hinter den Überlieferungen der Geschichte und den Traditionen der Religion, sich ein Ewiges verbergen, aber in diesen Formen auch offenbaren kann.

Ich teile dieses Empfinden. – Mir offenbart sich beim Anblick dieser Skulptur der geschundene Mensch, der sein Leben bedenkt, der seiner Erlösung entgegenhofft. Jesus aus Nazareth, vorgeführt und verspottet, ist mir dabei Kronzeuge der göttlichen Wendung zum Heilwerden. Nicht nur „zween Zeugen“ haben ihm Unwahres angedichtet. Mancher mehr hat auf ihn eingeschlagen. Ecce homo – seht, welch ein Mensch! Ein Mensch noch vor der Erfahrung, ganz bei Gott aufgehoben und im Licht SEINER Liebe allem Leid entzogen zu sein.



Ich wünsche uns, einer jeden und einem jeden, die dies erhoffen, die Gewissheit, daß Gott UNS sieht, so, wie es die Jahreslosung verheißt. Und: Ein fröhliches Aufstehen aus allem Schmerz! Sind wir doch getauft, weil es nach und trotz allem Leid Ostern geworden ist. Und wieder werden wird!

Ihr – derzeit erkrankter – Pfarrer Markus Deckert
im Januar 2023